ESSAY-BRIEF

Essay-Brief April 2015

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„Wu Wei – Nur für Faule?“

© Bernd Helge Fritsch

Vor kurzem erhielt ich folgendes Mail von einer Leserin meiner Bücher und Essay-Briefe. Der unveränderte Text dieses Mails lautet:

„Bitte könntest du mal einen Essay Brief zum Thema »Erledigen was zu erledigen ist« schreiben?

1. Ist »Wu Wie« nur für Faule oder für Pensionisten oder Aussteiger?

2. Was genau ist zu erledigen? Kommt die Antwort wirklich so einfach aus der Stille? Auch in der Stille sind wir nicht frei von gesellschaftlichen Rahmenbe­dingungen, Erwartungen, Prägungen, Erziehung?

LG und danke Karin“

Ich bin immer sehr dankbar für solche Fragen. Wie wir häufig beobachten können, sind „sonnenklare“ Vorstellungen in der Gedankenwelt des einen Menschen für den anderen keineswegs so selbstverständlich. Jeder hat seine eigene Welt und es ist ein großes Geschenk sich mit anderen Denkweisen ver­binden zu dürfen. Doch das ist nur möglich, wenn wir Fragen stellen, miteinander kommunizieren und uns für die Welt des Anderen öffnen. Letztlich stellt es sich heraus, dass wir in der Tiefe unserer Seele, trotz der wunderbaren Vielfalt der verschiedenen Denkweisen, alle „Eins“ sind.

Zur Frage 1:

Ich darf dazu aus meinem Buch „Wu Wei – erfolgreich Nichts tun“ zitieren:

„Die »Wu Wei – Philosophie« geht auf uralte chinesische Weisheit zurück. Die uns bekannten Repräsentanten sind die großen chinesischen Meister »Laotse« (Lao Tzu = »Alter Meister«; Lebenszeit unbekannt, vermutlich zwischen 6. und 3. Jh. v.Chr.) und »Dschuang Dsi« (auch Chuang-tzu »Meister Zhuang«; um 365 bis 290 v. Chr.). Die Basis dieser Philosophie ist die Überzeugung, dass alles Sein eine Einheit bildet. Diese Einheit, in der altchinesischen Weisheitslehre als »Dao« bezeichnet, ist von einer unvorstellbaren Intelligenz durchdrungen. In jedem Stein, in jeder Pflanze, in jedem Lebewesen können wir Menschen diese göttliche Schönheit und Weisheit erkennen…“

„…Wu Wei bedeutet »Nicht-Handeln« oder »Handeln durch Nicht-Handeln«. Damit ist nicht gemeint »sich gehen lassen«, »faul herumhängen« oder »nix tun«. Wer sich im Einklang mit dem Dao (Sinn des Lebens oder universelles Bewusstsein) befindet, wirkt im Einklang mit der eigenen Natur und in Har­monie mit dem gesamten Sein. Oder noch besser gesagt, wer im Dao ruht, lässt »ES« handeln. Er überlässt das, was zu tun ist, seiner Intuition, seinen Talenten, seinen Gefühlen und seinem Körper. Er kämpft nicht, er plagt sich nicht, er versucht nicht seinen Willen durchzusetzen. Er fühlt spontan was zu tun ist.

Äußerlich gesehen handelt der mit dem Dao verbundene Mensch. Bei Bedarf strengt er sich auch körperlich an. Doch innerlich bleibt er dabei der gelas­sene Beobachter. Er ist hellwach und achtsam und zugleich lässt er entspannt und ruhig geschehen, was zu geschehen hat. Er wirkt ohne Erfolgszwang, ohne falschen Ehrgeiz, freudig hingegeben an den Augenblick. Sein Tun empfindet er nicht als mühevolle Arbeit oder Belastung…“

Im „Wu Wei“ ist uns bewusst, dass wir nicht der „Handelnde“ sind. So wie das „Ich“ die Lebensvorgänge in seinem Körper weder bestimmen kann noch muss, so wirkt auch in allen Denkvorgängen, Entscheidungen und Hand­lungen nicht das „Ich“ sondern das Dao. Unsere Aufgabe besteht lediglich darin zu erwachen und damit zu erkennen, wer wir wirklich sind: der Beob­achter, reines Bewusstsein, Teil des allumfassenden Dao.

Zur Frage 2:

Wahre Stille, macht uns frei von unseren Prägungen, Denkmustern und von gesellschaftlichen Zwängen. In der Stille lernen wir sowohl die „Spiele“ der äußeren Welt als auch in unserem Mental (Denken, Fühlen, Wollen) zu beo­bachten und zu durchschauen. Dadurch werden wir frei.

Was die Erwartungen und Zwänge anbelangt, die von der Gesellschaft aus­gehen, sind wir in der Geisteshaltung des „Wu Wei“ in der Lage mit ihnen umzugehen, wie mit sonstigen Naturerscheinungen. „Was ist, das ist!“ – Wir nehmen es gelassen zur Kenntnis. Wenn es regnet, so verwenden wir einen Schirm oder bleiben zu Hause und lesen ein gutes Buch. Wenn Regen ein­setzt und wir sind ohne Schirm unterwegs, so werden wir nass und machen auch daraus kein Problem.

Ebenso reagieren wir auf die Bedürfnisse unseres Körpers. Wenn der Körper durstig ist, so geben wir ihm Wasser. Wenn er krank wird, so kümmern wir uns ohne Stress um seine Heilung. Und auch wenn es früher oder später zum Sterben geht, bleiben wir gelassen. Wir machen uns keine Sorgen, denn wir wissen Bescheid um unser unvergängliches Sein.

Im „Wu Wei“ identifizieren wir uns weder mit der Gesellschaft noch mit unserem Körper, noch mit unserem Mental. Wir respektieren die Bedürfnisse der „äußeren“ Welt, zu der auch unser Körper und unser Mental gehören, und erfühlen aus der Stille wie wir im Einklag mit allem uns optimal ver­halten können.

Alle Probleme sind Einbildungen des Verstandes. Der duale Verstand sieht nur die vergänglichen Wellen auf der Oberfläche des Ozeans und erkennt nicht die Weite, Tiefe und Großartigkeit ihres Ursprungs.

Die Wellen des Ozeans entsprechen den „guten“ und „bösen“ Erscheinungen in der äußeren Welt. Auf diese vergänglichen Wellen ist der Verstand des „normalen“ Menschen fixiert und übersieht dabei das Wesentliche, den unvergänglichen Ozean. Der unwissende Verstand des Menschen versucht die Wellen auf der Oberfläche des Seins zu bändigen. Er ist besessen von der Idee Wellen herzustellen, die nur ein „Wellen-Hoch“ und kein „Wellen-Tief“ haben. Bei dieser aussichtslosen Arbeit ist ihm nicht bewusst, dass er selbst, mit seinem Denken, diese Wellen durch rastloses Analysieren, Bewerten und Wollen verursacht.

Im „Wu Wei“ tauchen wir ein in die Fülle des Ozeans. Wir befreien uns vom ständigen Lärm zwanghafter Gedanken. Wir tauchen ein in die lebendige Stille. Wir verbinden uns mit der unendlichen Tiefe, Weisheit, Schönheit und Liebe des Seins.

Alles was wir zu tun haben, besteht darin, uns vertrauensvoll dem Fluss des Geschehens, dem Augenblick, dem Dao zu übergeben. Im Dao verzichten wir auf Gedanken und Sorgen über Gestern und Morgen. Wir verzichten darauf unseren Ego-Willen gegen den weisheitsvollen Strom des Seins durchzusetzen. Dieser Wille ist der Verursacher von Rastlosigkeit, Stress, Ängsten und Problemen. Innerlich stille werden, achtsam und liebevoll zu schauen, was um mich und vor allem was in mir geschieht – mehr ist nicht erforderlich. Die notwendigen Entscheidungen und Handlungen ergeben sich sodann zum richtigen Zeitpunkt wie von selbst – spontan, harmonisch und mühelos. Verbunden mit dem Dao in uns wird uns alles geschenkt, was wir für unser Glück benötigen.

 

Mit herzlichem Gruß

Bernd

 

Alle bisherigen Essay-Briefe findest du auf unserer Homepage www.berndhelgefritsch.com

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